23. Dezember 2020

KLIMA TALK: Nachhaltige Bausteine

Professor Arnold Gevers, Dozent Kai Nebel und Recycling-Expertin Nicole Kösegi debattierten im „Fernsehstudio“ der KLIMA ARENA über die Ressourcen kostende Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche.

Keine Frage: Es war ein besonderer Abend in der Adventszeit. Schon allein deshalb, weil ein Teil der Ausstellung knapp zwei Tage lang zum Fernsehstudio umfunktioniert wurde. Zwei große TV-Kameras, drei nebeneinander aufgestellte Flachbildschirme, ein Regiebereich und unzählige Materialkisten bildeten die Kulisse für den „Klima Talk“. Professor Arnold Gevers (Akademie Mode & Design München), Kai Nebel (Dozent der Hochschule Reutlingen und der Hochschule Albstadt-Sigmaringen) und Nicole Kösegi (Recycling-Spezialistin und freiberufliche Beraterin) diskutierten das Thema „Coole Sache: Mehr Chic, weniger CO2?“, das sich mit den Hintergründen der Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche beschäftigte.
KLIMA TALK: Dr. Bernd Welz, Vorstandsvorsitzender, Rosa Omeñaca Prado, Thema Nachhaltige BausteineFür die Einbettung der Debatte und die Gesprächsleitung des einstündigen Talks sorgte die gebürtige Spanierin Rosa Omeñaca Prado. Die temperamentvolle Moderatorin, die aktuell in der Redaktion des Südwestrundfunks in Mannheim arbeitet, entlockte im Sonderausstellungsbereich der KLIMA ARENA, dort wo sich bis 7. Februar 2021 „use-less – Slow Fashion gegen Verschwendung und hässliche Kleidung“ befindet, den zugeschalteten Talk-Teilnehmern viele Aussagen, die zum Nachdenken anregen.

„Überlegen, wie wir leben und konsumieren“

Schon in seinem Eingangsstatement hatte Dr. Bernd Welz, Vorstandsvorsitzender der Klimastiftung für Bürger und „Hausherr“ der Online-Veranstaltung, den Boden für eine vielschichtige Diskussion bereitet. Bernd Welz wies darauf hin, dass in Deutschland pro Person und pro Jahr rund 11 Tonnen CO2 verbraucht werden würden und davon falle ein Drittel (3,7 Tonnen) in den Bereich des Konsums der Menschen. „Wenn wir die Erderwärmung stoppen wollen, müssen wir zwangsläufig überlegen, wie wir leben und konsumieren“, sagte er.

Nachhaltigkeit ist ein bedeutungsvoller Begriff. Diesen mit konkreten Maßnahmen, Lösungsansätzen und Handlungsmaximen zu füllen, stellt die eigentliche Hürde dar. Die Blickwinkel der Talkrunden-Gäste Arnold Gevers, Kai Nebel und Nicole Kösegi wichen im Detail voneinander ab, unterm Strich freilich fügten sie sich zu einem übergeordneten Gesamtbild zusammen.

Als Modeschöpfer achtet Arnold Gevers insbesondere auf die Gestaltgebung und Vorbereitung von Produkten für die textile Kreislaufwirtschaft. „Es ist machbar, dass im Entwicklungsprozess der Mode nur gute, kreislauffähige Materialien verwendet werden und kein Materialverlust dabei entsteht“, skizzierte er einen wesentlichen Nachhaltigkeitsbaustein.

Lustgefühl von Impulskäufen

Nachhaltige Mode lege Wert auf die Details, rege zum bewussten Einkauf von Kleidern an, und stehe für eine tatsächliche Wertschätzung von Kleidung, die dem permanenten, schnellen Reiz des Neuen und dem „momentanen Lustgefühl von Impulskäufen“ (Gevers) gegenüberstünden.

Kai Nebel vertrat vor allem pragmatische Ansätze. „Es gilt in der Kreislaufwirtschaft den Ressourcenverbrauch zu minimieren. Wir müssen schlichtweg von diesem Massenkonsum runter“, konstatierte Kai Nebel. Für ihn zählt das Zusammenspiel der Kräfte, angefangen beim Verbraucher, über die Textilindustrie bis hin zur Politik als Steuerungsfaktor.

Professor Arnold Gevers, Dozent Kai Nebel und Recycling-Expertin Nicole Kösegi debattierten im „Fernsehstudio“ der KLIMA ARENA über die Ressourcen kostende Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche.

Belohnung für den Verbraucher

Von der EU-Politik erwartet sich Kai Nebel klarere Vorgaben und Regeln. „Der Gesetzgeber hat da ein Wörtchen mitzureden. Der Verbraucher muss mehr und anders belohnt werden“, sprach er über die Notwendigkeit übergeordneter, strategischer Signale.

Eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft beinhalte eine ausgeprägte Logistik, passende Sammel- und Sortiersysteme, ein gesundes Maß an Infrastruktur und eine ökologisch wie ökonomisch basierte Faktenlage. Kritisch bewertete Kai Nebel Recycling-Technologien. Diese würden noch in den Kinderschuhen stecken, vieles an Textilrecycling lande nach wie vor in den Plastikflaschen.

Recycling-Expertin Nicole Kösegi kennt ihre Branche aus dem Effeff. Sich künftig dem Prozess des Textilrecyclings zu stellen, hält sie für eine unabdingbare Herangehensweise. Dazu sei eine „Abfallhierarchie mit Stufen unter dem Thema Wiederverwendung“ zum Umdenken nötig. Es gehe um die Tragfähigkeit von Kleidern und deren zweite Leben. „Ob Kleidung, Schuhe, Tischdecken und dergleichen, alles ist als Second-Hand-Ware verkaufbar“, meinte Nicole Kösegi. In zwei Recyclingverfahren könnten daraus etwa Putzlappen entstehen oder Jeans zu Fasern reduziert und somit als Füllmaterial für Matratzen verwendet werden.

Second Hand als echte Chance

Sie sieht Second Hand als echte Chance. „Über eine eingeführte Mehrwertsteuer lässt sich die Produktion von Second Hand begünstigen, dies würde viele Vorteile mit sich bringen“, schlug Nicole Kösegi explizit vor. Damit könnte als Nebeneffekt auch ein Stadt-Land-Gefälle in Sachen Second-Hand-Läden relativiert werden.

Einig war sich die Expertenrunde, dass ein Transformationsprozess ein allgemeines Umdenken erfordert: Mit konkreten Regeln seitens der Politik, mehr Transparenz und Information über die komplexe Kreislaufwirtschaft, weg von der überdimensionierten Fast-Fashion-Industrie und stattdessen hin zu größerer Wertschätzung von Kleidungsstücken.
Die Macht der Verbraucher

In einem Chat, moderiert von Anja Hoffmann, zuständig für die wechselnden Sonderausstellungen in der KLIMA ARENA sowie für die Organisation des „Klima Talks“, konnten die Zuschauer Fragen an Arnold Gevers, Kai Nebel und Nicole Kösegi stellen. Eine tröstliche Antwort gab es nach einer Stunde Livestream und reichlich technischem Aufwand beim „Klima Talk“ dann doch: Die Macht der Verbraucher ist nicht zu unterschätzen – der Kreislauf kann mit vereinter Power und bewusstem Handeln durchbrochen werden.

Text: Joachim Klaehn

Hinweis: Der komplette Mitschnitt des „Klima Talks“ „Coole Sache. Mehr Chic, weniger CO2?“ ist bei YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=uc1PtgCepfw jederzeit abrufbar.

Direkt zum Videobeitrag

Kurze Statements

„Man muss der Kleidung eine eigene Stimme geben. Der Anteil, dass sie sich lange im Leben des Menschen hält, ist besonders hervorzuheben.“
Professor Arnold Gevers.

„Ich empfehle, vorher nachzudenken – ehe wir konsumieren. Nachhaltigste Kleidung ist die, die erst gar nicht produziert werden muss.“
Dozent Kai Nebel.

„Ich sage: Viel mehr Macht für Second Hand! Ich drücke dieser Branche fest die Daumen.“
Recycling-Expertin Nicole Kösegi.

„Für mich war dieses wichtige Thema eine Premiere – und auch eine Herausforderung. Hoffentlich sehen wir uns ein nächstes Mal live in der KLIMA ARENA wieder.“
 Moderatorin Rosa Omeñaca Prado.

„Wir haben leider derzeit geschlossen. Deshalb bieten wir solche Veranstaltungen wie den ‚Klima Talk‘ im digitalen Raum an.“
Vorstandsvorsitzender Dr. Bernd Welz.