19. März 2021

Ein Gefühl der Verbundenheit und des sinnvollen Tuns

Dr. Doris Klein vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erklärt in ihrem Online-Vortrag zur Earth Hour am 27. März, was die Stunde der Erde symbolisch ausmacht und warum es so wichtig ist, dass Satelliten regelmäßig unseren Planeten umkreisen und beobachten.

Unsere Erde mit Satelliten beobachten: Zur Earth Hour wird Dr. Doris Klein, Wissenschaftliche Referentin im Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), in ihrem Online-Vortrag via Zoom (27. März, Samstag, 19 bis 20 Uhr) die Satellitenfernerkundung vorstellen – ein Instrument, mit dem in einer systematischen Art flächendeckend die Erde beobachtet und vermessen werden kann. Dr. Doris Klein ist seit 2011 wissenschaftliche Referentin am DFD. Sie promovierte 2008 an der Universität Bonn und arbeitete als „PostDoc“ an der Universität Würzburg, wo sie die Arbeitsgruppe „Landoberflächenparameter“ am Lehrstuhl für Fernerkundung des Instituts für Geologie und Geographie leitete. Zwischen 2013 und 2020 koordinierte sie zudem die wissenschaftliche Nutzung der DLR FireBIRD Mission.

Ihr Interesse gilt der Anwendung von Fernerkundung im Kontext des globalen Wandels und der klimatischen Veränderungen. Sie hat ein besonderes Interesse an den neuen Forschungsmöglichkeiten, die sich durch die Vielzahl der Copernicus Sentinel Daten eröffnen, sowie an den Infrastrukturlösungen, die zur Bewältigung dieser Datenmengen entwickelt werden.

Frau Dr. Klein, die Earth Hour ist zu einem globalen Ereignis geworden – welche Haltung haben Sie zur Stunde der Erde?
Um Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken, ist es gut, ein sichtbares Zeichen zu setzen und viele Menschen mit ins Boot zu holen. Das wird mit der Earth Hour auf originelle Weise erreicht. Allerdings müssen dem auch effektive Maßnahmen folgen, es sollte nicht der Eindruck entstehen, die Earth Hour selber wäre schon der entscheidende Beitrag.

Am 27. März findet das Ereignis inzwischen zum 15. Mal statt. Was macht die Faszination der Earth Hour aus?
An einer weltumspannenden Aktion teilzunehmen für ein gutes Ziel, vermittelt den Eindruck, dass man selber etwas tut, gemeinsam mit vielen anderen, rund um den Globus. Das schafft ein Gefühl der Verbundenheit und des sinnvollen Tuns. Das alles ist ja leider bei der Umsetzung echter Maßnahmen nicht unbedingt gegeben.

Das einzige Werkzeug

Satellitenerkundung ist ein sperriges Wort. Was genau sehen denn Satelliten?

Im Grunde genommen bedeutet Fernerkundung, Informationen über ein Objekt zu erhalten, ohne in direkten physischen Kontakt mit ihm zu treten. Satelliten haben den Vorteil, dass sie die Erde regelmäßig umkreisen und automatisiert Informationen sammeln. Sie sind das einzige Werkzeug, das uns erlaubt, die globalen Konsequenzen unseres Handelns objektiv und messbar zu beobachten. Sie können die Oberfläche unseres Planeten und seine Atmosphäre beobachten und vermessen. Neben der Topographie, der Land- und Wasserbedeckung lassen sich auch Inhaltsstoffe, Temperatur und Feuchtemessungen durchführen. Und natürlich lassen sich Satellitenbeobachtungen wiederholen, so dass damit Veränderungsprozesse und – zyklen erfassbar sind. Vermessung des Ozonlochs, Erfassen von Luftschadstoffen, Wolkenbedeckungen, Siedlungen, Gebäudestrukturen, Feldfrüchten, dem Zustand von Wäldern, Wasserqualität, Überflutung, Feuer oder Schneebedeckungen sind nur einige der Anwendungen.

Zur Genese: Wann gab es die ersten Satelliten im Weltraum und für welche Zwecke wurden sie genutzt?

Der erste Satellit im All war Sputnik von der Sowjetunion 1957. Damals ging es eher um Prestige und darum, der erste beim Wettlauf ins All zu sein. 1960 wurde dann aber mit TIROS-1 seitens der USA der erste Wettersatellit gestartet. Mit Hilfe der damit beobachteten Wolkenfelder wurden Wettervorhersagen gemacht.

Fernerkundung hat ja bekanntlich auch eine militärische Facette. Welche Einsatzmöglichkeiten haben wir generell für Satelliten? Und welche davon sind insbesondere für den Klima- und Umweltschutz relevant?

Bei militärischen Satelliten geht es wahrscheinlich vor allem um eine hohe räumliche Auflösung und die schnelle Verfügbarkeit von Bildern in ausgewählten Regionen. Das sind auch Anforderungen für den Einsatz im Fall von Krisen: Überflutungen, Vulkanexplosionen, Hangrutschungen, Erdbeben, bei denen Schäden und der Status von Infrastruktur schnell erfasst werden muss, um zu entscheiden, wie Hilfe geleistet werden kann. Dies wird in der Regel durch kommerzielle Satelliten abgedeckt mit einer Auflösung unter 10 Metern. Bei Umweltanalysen und vor allem bei Klima-Studien sind lange Zeitreihen relevant, meistens reichen geringere räumliche Auflösungen, weil die Analysen großräumig stattfinden. Hier werden nationale und internationale staatliche Satellitenprogramme eingesetzt, die die Daten kontinuierlich und kostenlos zur Verfügung stellen.

Mit den Apollo-Missionen wurde ein neues Zeitalter eingeläutet – auch ein neuer, ganzheitlicher Blick der Erde wurde gewahr. Wie sind Ressourcen aus luftiger Höhe zu entdecken? Wie funktioniert das?

Der Satellit erfasst Daten der Erdoberfläche oder Atmosphäre bei seinem Überflug, die dann auf die Erde übertragen werden und dort mit Hilfe von Empfangsanlagen empfangen werden. Diese Rohdaten müssen dann bearbeitet und analysiert werden, um dann als Informationsprodukte interpretiert werden zu können. So kann zum Beispiel die Biomasse auf Feldern oder der Zustand der Feldfrüchte abgeschätzt werden, etwa welche Bereiche Trockenstress ausgesetzt sind. Es lassen sich damit Erntevorhersagen treffen. Ebenso kann über die vorhandene Menge an Biomasse und deren Feuchtegrad bei Wäldern beispielsweise die Waldbrandgefahr antizipiert werden. Ein anderes Beispiel ist die Beobachtung von Seen und deren Schwankungen oder von Veränderungen von Feuchtgebieten, um Aussagen zu Wasserverfügbarkeit zu treffen.

Global, flächendeckend und homogen

Der Röntgenblick der Satellitenerkundung gestattet ja auch ganz ungeahnte Möglichkeiten. Inwieweit lassen sich durch Klimadatenbanken zuverlässige Zukunftsprognosen zum Thema Klimawandel erstellen?

Das Schwierige bei der Erfassung von Klimaveränderungen ist, sie von kurzfristigen Schwankungen des Wetters zu unterscheiden. Daher muss der Zeitraum, den man betrachtet, lang genug sein. Beim Klima sind das üblicherweise mindestens 30 Jahre. Die Satellitenfernerkundung bietet mittlerweile solche Datenreihen: global, flächendeckend und homogen. Sie lassen auch langfristige, langsame Trends erkennen und ermöglichen uns ein Verständnis der Zusammenhänge. Mit diesem Wissen können dann Computermodelle entwickelt werden, die Prognosen ermöglichen. Satellitendaten dienen dazu, diese Modelle mit Daten zu füttern und ihre Ergebnisse zu überprüfen. Aber auch durch die Hinzunahme von Satellitendaten bei Klimamodellen sind es immer noch Modelle, die wir aufstellen und die entsprechend mit Unsicherheiten behaftet bleiben. Was man daher tut, ist verschiedene Modellergebnisse zu kombinieren. So lassen sich robustere Ergebnisse erzielen und die Bandbreite der Prognosen hilft, künftige Entwicklungen zu beurteilen.

Raumfahrt ist faszinierend. Welches Potenzial sehen Sie für den Umwelt- und Klimaschutz?

Die Erdbeobachtung ist der wichtigste Beitrag, den die Raumfahrt für Klima- und Umweltschutz bietet. Das größte Potenzial ergibt sich durch die Bereitstellung kontinuierlicher Beobachtungsdaten. Wir können in Echtzeit nachverfolgen, wieviel Regenwald durch Palmölplantagen verloren geht, können schätzen, welche CO2-Menge die globalen Wälder speichern und mit diesen Informationen dafür sorgen, dass auch ein intakter Wald einen monetären Wert bekommt, z.B. in einem funktionierenden CO2-Handel. Mittels Satellitendaten kann überprüft werden, ob Naturschutzgebiete eingehalten oder illegal bewirtschaftetet werden. Eines der prominentesten Beispiele für die Nutzung der Fernerkundung für den Klimaschutz ist die kontinuierliche Beobachtung und Messung des Ozonlochs. Das EU Copernicus Satellitenprogramm hat beispielsweise genau das zum Ziel: eine leistungsfähige Satellitenflotte zu betreiben, Bodenmessungen zu integrieren, aus den Daten standardisiert Informationen abzuleiten, die frei und kostenlos der Öffentlichkeit und den Behörden zur Information zugänglich sind und ebenso von Industrie und Wissenschaft für Weiterentwicklungen genutzt werden. Besonders wichtig finde ich, dass diese Informationen von öffentlichen Einrichtungen bereitgestellt werden, um für jedermann zugänglich zu sein, ohne Partikularinteressen zu bedienen.

Welche Kernaufgaben hat das DLR?

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Etwa 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten im DLR in 55 Instituten und forschen und entwickeln im Bereich der Luftfahrt, der Raumfahrt sowie der Energie, dem Verkehr, der Sicherheit und der Digitalisierung. Darüber hinaus kümmert sich die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR im Auftrag der Bundesregierung um die deutschen Raumfahrtaktivitäten und die DLR-Projektträger betreuen Förderprogramme.

Die USA waren Vorreiter

Welche internationalen Kooperationen sind von Belang, siehe z.B. ESA oder gar die NASA?

Satelliten zu starten, ist immer noch ein teures und nicht ganz einfaches Unterfangen. Das geht man am Besten gemeinsam an. Heute stimmen die verschiedenen internationalen Akteure ihre Satellitenprogramme aufeinander ab, um z.B. lange, kontinuierliche, globale Zeitreihen möglich zu machen. Über die ESA haben die Europäer ein gemeinsames Raumfahrtprogramm mit den Sentinels, einer eigenen großen Satellitenflotte, entwickelt. Auch die USA nutzen diese Daten, so wie auch wir intensiv die Daten der US-amerikanischen Satelliten nutzen. Dieser intensive Austausch wurde unter anderem durch den kostenlosen Zugriff auf die nationalen Satellitendatenarchive möglich. Die USA waren hier Vorreiter. Die ESA ist dem Vorbild gefolgt und heute können auf Basis der europäischen und amerikanischen Satellitendaten weltweit Entscheidungen im Umweltbereich getroffen werden. Gerade für Umwelt- und Klimathemen sind solche kontinuierlichen weltweit verfügbaren und vergleichbaren Datensätze nötig, um belastbare Informationen zu schaffen, um Missstände und Fehlentwicklungen zu visualisieren, aber auch um eine Basis für alternative Szenarien zu entwickeln.

Welchen beruflichen Hintergrund haben Sie? Was braucht man an Rüstzeug, um mit Satellitendaten zu arbeiten?

Ich bin promovierte Geographin. Bevor ich zur Geographie kam, habe ich bis einschließlich Vordiplom Informatik studiert, fand das jedoch zu eintönig. Die Kombination finde ich ideal: Interesse an unserer Umwelt und deren Funktionsweise und Interaktionen gepaart mit der Faszination für technische Möglichkeiten. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben einen Ingenieurswissenschaftlichen Hintergrund, sind Physiker, Biologen oder Geologen. Wichtig ist, dass man ein grundlegendes Verständnis für Naturwissenschaft und Technik hat und Interesse für unsere Themen mitbringt. Damit lässt sich vieles andere erlernen.

An der Erdkugel nicht sattsehen

Was begeistert Sie persönlich an der Fernerkundung und den Datensammlungen?

Ich finde Satellitenbilder einfach toll: Auch nach zwei Jahrzehnten Fernerkundung kann ich mich an der Erdkugel aus dem All nicht sattsehen. Und mit diesen Bildern dann auch noch Prozesse nicht nur zu illustrieren, sondern auch zu vermessen, das ist großartig. Wir können inzwischen Veränderungen seit den 80er Jahren beobachten und analysieren. Da wir mit Bildern arbeiten, ist es auch oft nicht nötig, viel zu erklären, sie sprechen für sich.

Warum sollten möglichst viele Menschen am 27. März das Licht ausschalten? Ab welchem Punkt ist die Stunde der Erde ein Ruhepunkt und eine „Auszeit“ im wahrsten Sinne des Wortes?

Innehalten ist die Voraussetzung dafür, das eigene Tun sowie das eigene Umfeld zu reflektieren. Dafür kann die Earth Hour ein sehr guter Anlass sein. Innezuhalten, Dinge zu durchdenken und dann eigene, wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen, wäre eine großartiges Ergebnis dieser Auszeit.

Text: Joachim Klaehn