„Wir müssen uns retten“
Eckart von Hirschhausen besuchte die KLIMA ARENA und ließ sich von der Ausstellung und den dort gezeigten Themen wie Exponaten nachhaltig inspirieren – Sein Leitgedanke: „Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde“.
Der Arzt, Entertainer, Comedian, Buchautor, Wissenschaftsjournalist, Moderator und Stifter Dr. Eckart von Hirschhausen engagiert sich seit vielen Jahren für den Klimaschutz. Dieser Tage besuchte der 53-jährige Mann mit den vielen Interessen und Talenten die KLIMA ARENA in Sinsheim, unterhielt sich ausgiebig mit Dr. Bernd Welz, dem Vorstandsvorsitzenden der Klimastiftung für Bürger, über das interaktive Erlebniszentrum, Formen einer denkbaren Zusammenarbeit und das gemeinsam von der Dietmar Hopp Stiftung und der Klaus Tschira Stiftung geförderte Zukunftsfestival „Prio 1“. Das Klima-Netzwerk, das junge Menschen zu Gestaltern unserer Zukunft macht, wird über ein virtuelles Herbstcamp im November auf das große Sommercamp 2021 zusteuern.
Gesunde Ernährung zählt: Eckart von Hirschhausen (M.), Vorstandsvorsitzender Dr. Bernd Welz (r.) und Kommunikationsleiter Joachim Klaehn (l.) im virtuellen Supermarkt der KLIMA ARENA. Foto: Dominik Karaca
Eckart von Hirschhausen gründete nach „Humor hilft Heilen“ (2008) am 30. März 2020 mit „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ seine zweite eigene, gemeinnützige Stiftung. Dabei geht es ihm darum, über Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Gesundheit aufzuklären und letztlich einen gesellschaftlichen Bewusstseinwandel anzustoßen.
Mit dem Erfinder des medizinischen Kabaretts führte unser Kommunikationsleiter Joachim Klaehn im „Gletscher“ der Ausstellung folgendes Interview.
Ist denn Ihrer Erfahrung nach das Wissen über den Klimawandel und den Klimaschutz ausreichend in der Bevölkerung vorhanden?
Ich glaube, wir haben nicht nur ein Wissensproblem, wir haben vor allen Dingen ein Umsetzungsproblem. Und ein Visualisierungsthema. Ich finde die Klima Arena auch deswegen so gelungen, weil in diesem virtuellen Raumschiff man auch verstehen kann, wir sind schon die ganze Zeit in einem Raumschiff. Wir sind auf dem ‚Raumschiff Erde‘ – und das klar zu machen, dass wir einerseits in einer sehr bedrohlichen Situation sind, was die Zukunft von uns Menschen angeht. Und andererseits auch immer zu sagen, was könnten wir anders tun. Und wieviel schöner könnte es auf der Erde sein, wenn wir uns anders verhalten würden.
Das finde ich nach wie vor nicht nur eine wichtige Aufgabe für gemeinnützige Organisationen, für Multiplikatoren, sondern auch für uns Ärzte. Weil die Klimakrise die größte Gefahr ist für die Gesundheit, und wir eben wegkommen müssen von diesem ‚Wir müssen das Klima retten‘, nein, wir müssen uns retten. Und das ist in vielen Gesprächen, die ich führe, den meisten Leuten noch nicht so klar. Und deswegen wünsche ich mir als Arzt immer, dass man erst über die Diagnose redet und dann über die Therapie.
Sprich: Wir müssen erst mal kapieren, wir haben wenige Jahre vor uns, die darüber entscheiden, wie die nächsten 10.000 Jahre auf dem Planeten laufen.
Wir sind die erste Generation, die eigentlich Hunger abschaffen könnte. Wir haben zwei Milliarden Übergewichtige, eine knappe Milliarde Menschen, die hungert.
Wir können umverteilen, wir können fairer miteinander leben auf diesem Planeten. Und die Idee, dass es sozusagen eine Vision gibt, wo wir hinwollen, die fehlt mir im Moment sehr in der Debatte. Wenn man Menschen fragt, was ihnen wichtig ist, dann sagen die immer, ‚Gesundheit ist mir ganz wichtig‘. Und wenn man ihnen dann erklärt, das hat etwas mit Klimakrise zu tun, dann entwickeln sich plötzlich ganz neue Gespräche.
Würden Sie als Arzt die Diagnose wagen, dass es einen weitgehend sensiblen Umgang mit diesem komplexen Thema gibt?
Wenn ich mich selber anschaue, ich war mit 17 schon umweltbewegt. Da war saurer Regen das große Thema. Da haben wir schon über Tempolimit geredet, da ging es auch schon darum, brauchen wir überhaupt Atomkraft in Deutschland.
Und dieses Thema ging in meiner Generation, obwohl es eigentlich klar war, dass mit dem Bericht vom Club of Rome 1972, mit Wissenschaftskommunikatoren meiner Vorgängergeneration wie Hoimar von Ditfurth, die haben das ja schon alles gesehen und kommuniziert und auch vorhergesagt. Wir haben wirklich entscheidende Jahrzehnte verloren, obwohl die Wissenschaft eindeutig war, haben wir es nicht in politische Maßnahmen und persönliches Verhalten übersetzt.
Und deswegen ist jetzt die Zeit knapper und um so wichtiger ist es, dass wir die Mitte der Gesellschaft erreichen. Das ist kein Thema, was einer Partei gehört. Das ist auch kein Thema, was an eine Weltanschauung gekoppelt ist, sondern es ist ein Thema, was jeden von uns betrifft und wo jeder entweder Teil des Problems oder auch Teil der Lösung werden kann.
Was sind Ihre ersten Eindrücke von der KLIMA ARENA?
Mein erster Eindruck ist: Hier muss ich nochmal herkommen! Es gibt soviel zu gucken, es gibt hier soviel zu entdecken, dass man das unmöglich mit einem Besuch abdeckt.
Ich mochte sehr die Idee des Visualisierens von den IPCC-Berichten. Der Klimarat, das sind ja immer so sehr abstrakte Zahlen. Man muss das konkret fassen.
Das habe gesehen bei dem Globus, wo man sieht, wo wird es konkret wieviel wärmer. Was ich sehr mochte, war die Idee beim Einkaufen mal nach dem CO2-Abdruck zu gehen.
Klar weiß man irgendwie, dass Fleisch in der Menge, die wir konsumieren in Deutschland, nicht okay ist – weder für den Körper noch für die Welt.
Aber man macht sich das selten in den Dimensionen klar. Und dafür braucht es so einen spielerischen Angang.
Zum Beispiel, wenn man Leute fragt: ‚Mensch, Gemüsesuppe oder Fleischsuppe, was würdest du sagen ist der Unterschied im CO2-Rucksack?‘
Das ist das Zehnfache! Und dann kann man die Leute im nächsten Schritt fragen: ‚Schmeckt dir denn die Fleischsuppe wirklich zehnmal so gut wie die Gemüsesuppe oder reicht es auch zweimal im Monat?Und guck mal, es gibt noch ganz viel Gemüsesorten, aus denen du noch nie eine Suppe gemacht hast – das ist auch lecker.‘ Also dass man wegkommt von diesem ‚man muss sich einschränken, man muss verzichten‘. Es geht um Lebensqualität, es geht mit der „Planetry Health Diet“ auch darum zu sagen, es tut deinem Körper erst mal gut, du musst es nicht für andere tun, tue es für dich! Und da finde ich diesen virtuellen Einkaufsbummel super. Und die Sonderausstellung über Klamotten hat mich auch inspiriert. Wir bräuchten eigentlich eine andere Art von Komplimenten. Beispiel: Wenn wir uns das nächste Mal sehen, schämen wir uns ja, wenn wir das Gleiche anhaben wie das letzte Mal.
Wofür eigentlich? Frau Merkel wurde ja auch angegangen dafür, dass sie zweimal das Gleiche anhatte in Bayreuth. Man muss doch sagen: ‚Hej, super, das ist nachhaltig! Wenn’s noch passt und wenn’s noch nicht kaputt ist, na klar trage ich das weiter!‘ Patagonia, die nachhaltige Outdoor-Klamotten machen, hat mal geworben mit: ‚Bitte kauf nicht diese Jacke, wenn du schon eine hast. Und wenn du eine kaufst, dann reparieren wir die. Wir wollen nicht, dass du unnötig viel kaufst.‘ Und das ist ein komplettes Umdenken.
Hier sind ja auch viele Schüler, hier sind viele Klassen, natürlich braucht jeder gefühlt jedes Jahr mindestens drei Paar neue Turnschuhe. Mein Vater hat ein Paar. Und der sieht nicht ein, warum er ein zweites braucht, wenn das eine noch funktioniert. Das heißt Nachhaltigkeit ist keine Modeerscheinung, sondern auch etwas, was in den Generationen vor uns schon mal gelebt wurde. Wer noch Krieg erlebt hat, wer noch Hunger, wer noch Mangel erlebt hat, war viel nachhaltiger. Und so gesehen hat mein Vater wahrscheinlich über seine ganze Lebenszeit weniger CO2 emittiert als ein einzelner Enkel von ihm. Und deswegen finde ich es ganz spannend, auch hier mit Familien, mit mehreren Generationen herzukommen. Wie könnte diese Ausstellung auch von Jugendlichen, sozusagen als Guides, als Ausstellungsführer, Erklärer funktionieren, die mal ihren Großeltern etwas erzählen, was die eben noch nicht in ihrer Schule gelernt haben? Und deswegen ist es ganz wichtig, diesen Ort nicht nur zum Informieren zu begreifen, sondern als ein Ort, wo Interaktion stattfindet, wo miteinander etwas gelernt, diskutiert und ausgehandelt wird. Wo die Bürgerschaft sich auch trifft und sagt: ‚Mensch, eigentlich ist das ein Thema auch für die Schulen, für die Ärzte, für die Pflegekräfte, für all die anderen klugen Menschen, die im Umkreis von hundert Kilometern hier alle zu finden sind.‘ Und dann wird es eine breitere, selbstverständlichere Diskussion werden. Und dann kriegen wir hoffentlich auch endlich die wirksame Klimapolitik, an der es eigentlich hängt, wie schnell wir mit Europa, aber auch in Deutschland den „Green New Deal“ umsetzen.
Hat Sie in der KLIMA ARENA ein Thema oder ein Exponat besonders emotional berührt?
Ich finde das schön, wie hier Innen und Außen auch miteinander verwoben sind. Was ich nicht wusste zum Beispiel, wie wichtig Moore als CO2-Senke sind. Moore haben traditionell den Menschen Angst gemacht, weil man da irgendwie versinken konnte. Da gab es viele Mythen, dass man da irgendwie zu Tode kommt.
Die Moorflächen, die wir im Moment trocken legen in Deutschland, immer noch, was wirklich idiotisch ist, emittieren im Moment mehr Treibhausgase als der gesamte Flugverkehr in Deutschland. Das ist eine Dimension, die kaum einer kennt.
Deswegen finde ich es klug, dass man hier draußen auch verschiedene Arten von Mooren hat und mal neu über die Klischees, mit denen wir alle rumlaufen, nachdenkt. So gesehen wünsche ich mir auch, dass jeder Besucher hier, auch nur wenn’s ein Impuls ist, hier mitnimmt und umsetzt. Weil Wissen ist nur dann gut, wenn es ins Handeln kommt.
Denken Sie, dass ein solch außergewöhnlicher Ort wie hier zum Mitmachen animiert?
Der Ort animiert auf alle Fälle zum Mitmachen. Was ich mir noch wünschen würde, ist, dass man aus diesem ersten Impuls, aus diesem Aha-Moment, noch mehr darüber nachdenkt, wie man das ins Digitale, ins Netzwerk verlängert. Da hatte ich ja auch mit den Verantwortlichen die Gelegenheit, in den Austausch zu kommen.
Ich glaube, da werden wir auch mit „Prio 1“ weiter im Gespräch bleiben. Vielleicht kann ich auch mal beim Herbstcamp oder beim nächsten Sommercamp Impulse geben.
Was ich eben erkannt habe für mich, und dafür brenne ich inzwischen auch sehr, diese Verbindung mit der Gesundheit, das ist für viele Menschen der Schlüssel, wo sie kapieren: ‚Ach, das ist gar nicht ein Thema, was Eisbären und Meeresspiegel und Atmosphäre betrifft, sondern uns.‘ Es geht um neue Infektionskrankheiten. Wir haben hier in Baden-Württemberg plötzlich asiatische Tigermücken und die gehören hier nicht hin. Die überleben, weil es nicht mehr kalt wird. Wir haben Allergien, die zunehmen. Wir haben Hitzetote, 2018, 2019 viele, viele tausend Menschen in Deutschland. Redet keiner so richtig darüber. Deswegen glaube ich, dass wenn man den Menschen klarmacht, dass es uns allen an den Kragen geht, wenn wir nichts tun, dass dann auch diese dämliche Diskussion, ‚Ja, wir können uns es nicht leisten, jetzt Klimaschutz zu machen‘, aufhört.
Nein, wir können uns nicht leisten, nichts zu tun.
Also?
Deswegen, wer neugierig geworden ist, findet auch im Internet: Es gibt eine „Planetry Health Academy“, wo sich die Spitzen auch der akademischen Welt zusammengetan haben, um ihr Wissen für die nächsten Studierenden der Medizin zur Verfügung zu stellen. Ich selber habe eine Seite im Aufbau, die heißt „Gesunde Erde – gesunde Menschen“.
Diese Verbindung, Narrativ heißt das ja heute so modern, finde ich wichtig hochzuhalten. Und dass man kapiert, das Politischste, was wir gerade machen können, ist, offener darüber reden. Also wenn man denkt: ‚Och Gott, ich kann doch als Einzelner nichts daran ändern!‘ Doch, wenn man anfängt, jeden den man trifft, mal anzuquatschen, zu sagen: ‚Was weißt du darüber? Wie denkst du darüber? Was fühlst du darüber? Hast du auch Sorgen, wie es weitergeht? Wo könnten Lösungen sein? Wo hast du persönlich auch einen Hebel, nicht nur den persönlichen Fußabdruck zu reduzieren, sondern auch den Handabdruck zu nutzen? Wo kannst du Stellschrauben verändern?‘
Sei es in der Kantine, wo man kein Billigfleisch braucht. Im Krankenhaus, wo man unglaublich viel Energie auch durch Zeug, was man einmal nimmt und wegwirft, unnötig verbraucht. Sei es in der Mobilität. Müssen wir Kinder mit dem Auto zur Schule bringen? Was ist mit E-Bikes oder Lastenräder? Das sind echte Alternativen zum Auto.
Klar ist E-Mobilität auch ein besserer Weg als Verbrennungsmotoren, aber wirklich auf Dauer brauchen wir auch ganz andere Ideen. Und das beginnt dabei zu kapieren, jeder Einzelne kann aktiv werden. Noch wirksamer ist, wenn wir gemeinsam dafür sorgen, dass es endlich vernünftige Züge gibt und wir die Flugzeuge in Deutschland überhaupt nicht mehr brauchen. Und und und. Die Ideen sind ja da, die Lösungen sind da. Wir haben das Geld, wir haben das Wissen. Jetzt brauchen wir politischen Willen.
Denn gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde – das sage ich als Arzt und als Bürger dieses Landes.
Text: Joachim Klaehn